tomo | Dezember 2022
Angefangen als Beratungstelefon von schwulen Männern für schwule Männer ist der Verein Rosa Strippe zu einem zentralen Ansprechpartner für queere Menschen und politische Vertreter*innen geworden. Eicke Ricker vom Verein steht uns Rede und Antwort.
Wie steht es gerade um die geschlechtliche Vielfalt in unserer Gesellschaft?
Geschlechtliche Vielfalt ist in der Gesellschaft gerade ein sehr kontroverses Thema. Da ist rechtlich einiges auf dem Weg, zum Beispiel das Selbstbestimmungsgesetz für Transpersonen, das in einer Reformierungsdebatte steckt. Mein persönlicher Eindruck ist, dass parallel dazu einen großen gesellschaftlichen Backlash (eine Gegenbewegung, Anm. d. Red.) gibt.
Ich sehe das persönlich auch als eine Entwicklung, die insgesamt voranschreitet.
Ich würde noch ergänzen das es auf Transpersonen vermehrt auch Übergriffe gibt. Das spielt sich also nicht mehr nur auf der sprachlichen Ebene ab, sondern zeigt, dass Sprache auch Realität erzeugt. Das schlimmste Beispiel haben wir jetzt in Münster erlebt. Aber grundsätzlich häufen sich da gerade auch die Meldungen.
Leider sind wir noch nicht so weit, wie wir seien könnten…
Das ist immer so, wenn es in Richtung Fortschritt, geht werden die Gegenstimmen lauter und versuchen diesen zurückzudrängen.
Mir wurde letztens auch gesagt, dass wir schlimmere Probleme haben als das Gendern. Das stimmt zwar, aber es ändert nicht, dass man parallel beides angehen kann.
Genau, man kann ja mehrere Dinge gleichzeitig anpacken mit unterschiedlichen Ressourcen.
Thema Synodaler Weg: Was sagt ihr als Verein dazu, dass das Grundsatzpapier „Leben in gelingenden Beziehungen – Grundlinien einer erneuerten Sexualethik“ an einigen Bischöfen gescheitert ist?
Wir als Verein haben uns jetzt gar nicht so sehr damit auseinandergesetzt. Ich habe mir das jetzt in der Vorbereitung auf das Interview angeschaut. Auch bin ich persönlich mit Glauben nicht so unterwegs, daher war es etwas schwierig einzuschätzen, wie Glaube gelebt wird und interpretiert wird. An einer Stelle habe ich aber das Stichwort Lebensrealitäten gelesen und das finde ich sehr passend, denn es gibt Menschen, die das betrifft und die hören ja nicht einfach auf zu existieren nur weil man dieses Papier ablehnt. Man sollte also nochmal schauen in welcher Form Reformen nochmal notwendig wären.
Was kann die Gesellschaft gegen Diskriminierung von queeren Menschen unternehmen?
Meine Idee dazu: Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dass alle Menschen in Deutschland in Würde und ohne Angst leben können. Wir müssen uns bei Themen wie Rassismus, Antisemitismus, Queerfeindlichkeit usw. gegenseitig unterstützen. Und wir dürfen nicht sagen, das betrifft mich ja gar nicht, deshalb muss ich da nichts unternehmen.
Wie können wir als Jugendverband ein Safe Space für queere Menschen sein?
Es kann keine diskriminierungslosen Räume geben. Man muss immer davon ausgehen, dass es zu Diskriminierung kommt, sogar innerhalb der eigenen Community. Ihr müsst auf dem Schirm haben, dass möglicherweise queere Menschen anwesend sind und für diese Menschen eintreten. Queerfeindlichen Äußerungen sofort widersprechen. Also Haltung und Position beziehen. „Schwul“ ist kein Schimpfwort! Ansonsten für Sichtbarkeit sorgen, Regenbogenflaggen raushängen. Workshops anbieten, Filmabende organisieren und vieles mehr.
Aber Diskriminierung findet auch in andern Bereichen statt. Da gibt es sowohl auf der politischen Seite als auch auf der gesellschaftlichen Ebene noch einiges zu tun. Aktuelles Thema ist das Selbstbestimmungsgesetzt, das sogenannte Transsexuellengesetzt, das reformiert werden soll, da es aktuell ja noch so ist, dass man bei der Personenstandsänderung zwei unabhängige Gutachten eingeholt werden müssen, deren Fragen extrem übergriffig sind für Transpersonen. Da müssen intimste Fragen beantwortet werden, die ich nicht mal meinen engsten Freund*innen erzählen würde und da muss ich aber in diesen Raum und einer wildfremden Person mein ganzes Leben und innerstes ausschütten und bin dann auch noch darauf angewiesen, dass die das anerkennen. Den Stemple also geben damit ich zum Amtsgericht kommen kann wo dann nochmal eine Richter*in darüber entscheidet, ob die Anerkennung gültig ist. Das alles ist ein super demütigendes Verfahren. Jetzt soll es in die Richtung gehen, dass man einfach auf dem Standesamt seine Identität ändern kann, ohne die Verfahren zu durchlaufen. Dann gibt es noch aktuell das Abstammungsgesetz, was Regenbogenfamilien betrifft. Wenn ein heterosexuelle Ehe ein Kind bekommt, unabhängig davon, ob der Vater der biologische Vater ist oder nicht, auch als Vater eingetragen wird, ohne Wenn und Aber. Hingegen bei einer Homosexuellen Ehe, bspw. bei einem lesbischen Paar, muss di Mutter, die nicht das Kind geboren hat, noch durch ein superbürokratisches und demütigendes Addoptionsverfahren durch. Da besteht also noh eine große Ungleichheit. Und es ist ja aktuell immer noch so, dass geflüchtete queere Menschen in Länder abgeschoben werden, wo ihnen die Todesstrafe droht. Vor kurzem wurde erst eine queere christliche Person aus der Abschiebungshaft in den Iran rausgeholt. Dort wäre sie doppelt verfolgt worden. S ist also immer noch so, das Deutschland gefährdete Menschen abschiebt. Und das ist nur einer von vielen Fällen. Wir gucken immer in andere Länder, aber in Deutschland gibt es auch immer noch sehr viele Baustellen. Auch gesellschaftlich sind wir noch nicht so weit. Oft höre ich das sich queere Menschen zwei Mal überlegen, ob sie ihren Partner ihre Partnerin in der Öffentlichkeit küssen oder Händchenhalten. Wenn ich mit meinem Partner durch die Innenstadt laufe und über all die Blicke spüre, ist das nichts Schönes, sondern man fühlt sich nicht zugehörig. Als Heterosexuelles Paar geht man da unter dem Radar durch.
Ich habe immer gehört, dass das Outing das schwerste ist…
Ja genau. Die Angst vor dem Outing reicht schon, um zu zeigen, dass unsere Gesellschaft immer noch nicht offen genug ist und es gesellschaftlich nicht genügend anerkannt wird. Solange man noch Angst vor dem Outing hat und es nicht völlig normal ist, dass ich als homosexuelle Person einen Jungen oder ein Mädchen mit nach Hause bringe ist die Anerkennung, di Akzeptanz noch nicht gegebenen.
Dann passt doch die letzte Frage jetzt perfekt! Wie sehe in deinen Augen eine Welt ohne Diskriminierung von queeren Personen aus?
Natürlich so, dass Menschen ohne Angst so leben können wie es ihnen selbst entspricht. Dann wäre auch das Therapeutische System entlastet. Leider ist es so, dass Minderheitenstress, also Diskriminierungserfahrungen, Ablehnungserfahrungen, auf die Menschen auswirkt. So ist die Depressionsrate und die Suizidrate grade bei Queren Menschen erhöht. Damit einher geht dann auch Substanzmissbrauch und Körperliche Auswirkungen wie Herzerkrankungen häufiger vorkommen. Es macht schon was mit einem, wenn du merkst, das andere Menschen mehr Rechte haben als du selbst. Auch müssten Menschen in dieser perfekten Welt nicht mehr ihr Land verlassen. Jeder könnte also so leben wie er möchte und wo er möchte ohne die Gefahr der Verfolgung, Diskriminierung und anderes.
Warum sind Safer Spaces für die LGBTQI*-Community so wichtig?
Es macht was aus, wenn man unter sich ist, also ich kann über bestimmte Themen sprechen, ich weiß ich bin hier unter Jugendlichen die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, die ich vielleicht auch mal ansprechen kann und wo ich weiß, wenn ich mich jetzt oute in der Runde werden ich nicht abgelehnt. Das ist einfach was anderes, als wenn heterosexuelle, Cis-Personen mit im Raum sind, weil ich mir dann nicht ganz sicher sein kann, wie darauf reagiert wird. Aber da gibt es auch genug Jugendtreffs. Als Jugendverband wie ihr es seid, gibt es also so gesehen nie einen Safe Space, sondern nur einen Safer Space.
Kann denn auch Kirche oder Religion ein Safer Space darstellen?
Es wäre einfacher gewesen, wenn das Grundsatzpapier durchgegangen wäre, weil das natürlich auf einer gesamten Ebene vieles verdeutlicht hätte. Dann ist die Frage, wie kann ich das auf der individuellen Ebene herstellen. Was habe ich für Möglichkeiten? Wenn man sich darin verankert sieht und für sich die Möglichkeit der Sicherheit ergibt, dann kann auch das ein Safer Space darstellen. Aber das kann man nur individuell beantworten.
Weißt du, ob Religion, bzw. Glaube in der queeren Community überhaupt ein Rolle spielt?
Nicht täglich, aber natürlich gibt es Menschen, die versuchen beide Rollen zu erfüllen. Das kann auch ein innerer Konflikt sein zu sagen: Eigentlich bin ich sehr gläubig andererseits bin ich aber auch schwul oder lesbisch und mir wird vermittelt, dass passt nicht zusammen. Trotzdem sind beide Bereiche im Leben relevant. Das stelle ich mir als persönlichen Kampf vor, diese Bereiche miteinander zu vereinbaren zu können. Plus was noh von außen kommt. Also das gesagt wird: du bist schwul dann musst du dich jetzt entscheiden. Religion oder Homosexualität. Beides zusammen funktioniert nicht.
Kannst du etwas zur Menschenrechtslage von LGBTQI* Personen sagen? Wo stehen wir in Deutschland?
Es gibt immer noch viele Länder, in denen queeren Menschen die Haftstrafe droht. In elf Ländern müssen sie mit der Todesstrafe rechnen, auch wenn diese nicht überall umgesetzt wird. Aber es reicht ja schon zu wissen: Ich lebe in einem Land, in dem mein Leben auf dem Spiel steht, wenn ich mich oute oder geoutet werde. Es erstaunt oft, dass Deutschland nur im Mittelfeld liegt. Nach der Ehe für alle ist der Eindruck entstanden, dass die Rechte weitestgehend angeglichen wurden. Aber es gibt auf politischer und gesellschaftlicher Ebene noch viel zu tun.
Auch die Sprache verändert sich. Die KjG gendert. Wird sich eine gendernde Sprache durchsetzen?
Das ist ein langer Prozess. Sprache ist etwas grundsätzlich Flexibles. Neue Begriffe tauchen auf und werden teilweise unhinterfragt übernommen. Aber ausgerechnet beim Thema geschlechtergerechte Sprache wird alles diskutiert.
Wie sieht für dich eine Welt ohne Diskriminierung aus?
Natürlich so, dass Menschen ohne Angst leben können und so, wie es ihnen selbst entspricht. Dann wäre auch das therapeutische System entlastet. Diskriminierungserfahrungen wirken sich sehr stark auf Menschen aus. Die Depressions- und Selbstmordrate bei queeren Menschen ist deutlich erhöht. Das macht etwas mit einem, wenn du weißt, die anderen haben mehr Rechte als du. In einer perfekten Welt leben alle so, wie sie möchten, ohne Verfolgung, Angst und Diskriminierung.
Sophie Schmelz ist mit schnurloser Telefonie groß geworden. Nix mit Strippe, alles durch die Luft!